Bibliothekarisch zwar völlig off topic, aber durchaus Web 2.0-relevant und zudem das mit Abstand Lustigste, was ich in der letzten Zeit im Internet gesehen habe, sind die Kundenrezensionen bei Amazon zu einem Angebot der schweizer Firma Wenger. Die stellt die berühmten roten Offiziersmesser her und hat mit ihrem größten Tool „Giant“ (unverb. Preisempf.: 879,- Euro!) ein wirklich beeindruckendes Gerät im Angebot; beeindruckend aber vor allem deshalb, weil es extrem überdimensioniert und gerade wegen seiner vielen Funktionen in der praktischen Anwendung vollkommen unbrauchbar ist. Man überzeuge sich davon bei einem Blick auf das Tool.
Jetzt kommt das Web 2.0 in Gestalt der Amazon-Kundenrezensionen ins Spiel. Denn dieser Gegensatz – ein scheinbar tolles Protzangebot, das in der Praxis absolut untauglich ist – hat irgendwann dazu geführt, dass sich Kunden bei Amazon über das Riesentool lustig gemacht haben. Dies wurde immer mehr zum Selbstläufer, und inzwischen hat das „Giant“ mit derzeit 400 Kundenrezensionen (!) kaum weniger als der letzte Harry-Potter-Band. Und wie die beschaffen sind, sei hier in Auszügen vorgestellt:
5.706 von 5.846 Kunden fanden die folgende Rezension von J. Dresde aus Düsseldorf hilfreich: „Wirklich ein fantastisches und handliches Allzweckgerät.
Was mich nur ein bisschen stört, ist die Tatsache, daß grundlegende Alltagsfunktionen doch teilweise etwas schwer zu erreichen, bzw. zu bedienen sind.
So ist z.B. der integrierte Teilchenbeschleuniger nur dann korrekt in Betrieb zu nehmen, wenn die Nagelfeile und der Korkenzieher in einem Winkel von exakt 107,2 Grad ausgeklappt sind. Nervig ist auch das unangenehme Summen, das der Schutzschild-Generator von sich gibt, wenn der Schild von Luft-Boden-Rakten getroffen wird“.A. Toussaint aus Karlsruhe bemängelt das Fehlen grundlegender Funktionen; er vermisst beim Giant „einen Fluxkonverter: Braucht man ständig, NIE hat einer einen dabei. Auch hier wieder nicht. Warum sträubt sich die Industrie dermaßen dagegen?“ Dafür erwähnt er aber lobend „die ausklappbare Encyclopaedia Britannica“.
„GSam“ berichtet: „Wir sind letzte Woche in das Messer eingezogen und haben es nicht bereut!“
Der Kunde „Neuenfeldt“ weist auf eine eklatante Schwäche des Messers hin: „Der eingebaute Gurkenschäler ist noch nach EU Norm bis 2009 kalibriert. Bei einer seit neusten zulässigen Gurke mit einem Krümmungsradius von 6 Winkelminuten auf gedachte 100 Meter beträgt der Schalenabtrag 0,3 Mikrometer und somit 0,005 Promille mehr als angegeben. Präzise ist was anderes!“
„Incognito“ hat nicht viel vom Messer gehabt: „Gleich nach dem Auspacken kalibrierte sich das Messer selbstständig auf Standard-Normal-Raumzeit, indem es für Bruchteile von Sekunden auf vergangenen Geburtstagen von mir auftauchte, was wohl mein starkes Bedürfniss nach einem „Gigant“ erklären würde. Später tauchte es dann sogar noch einmal kurz vor Ablauf der Garantie in der Zukunft auf, um sich selber zu reparieren! … Leider zerstörte sich das Messer kurz nach Ablauf der Garantie (nach Anblick seines besuchenden jüngeren Selbst).“
Und so geht es immer weiter, eine Pseudo-Kundenrezension ist lustiger als die andere; es ist zum Schreien! Was aber hat das nun alles mit Hans Traxler zu tun, einem der Mitbegründer der Satirezeitschrift „Titanic“? Ganz einfach: die Internetszene, die zu Recht über das Tool herzieht, geht mit Sicherheit davon aus, dass das alles neu und originell ist. In Wirklichkeit aber hat Traxler schon vor vielen Jahren einen Cartoon gezeichnet, der exakt den hinter sämtlichen Rezensionen steckenden, komischen Gedanken darstellt:
Ich habe Traxlers Cartoon dem 1999 im Zweitausendeins Verlag erschienenen, großformatigen Werk „Alles von mir!“ entnommen, für das ich – wie für alle anderen Traxler-Bücher – hiermit eine sehr dringende Kaufempfehlung abgebe; Traxler ist ohne Frage einer der größten Cartoonisten unserer Zeit!
PS: Dank an Rita für den Scan.
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