Verfasst von: haferklee | 14. Januar 2020

Die Qualität der Formalerschließung in Deutschland: nur irritierend oder doch eher ein Deseaster?

Weil ich kein RDA-Spezialist bin, schaue ich bei schwierigeren Titelaufnahmen meiner Bibliothek (keine Verbundteilnahme) in Zweifelsfällen gern nach, wie es die großen anderen machen, sprich DNB und Verbünde. Mir fällt viel häufiger als zu RAK-Zeiten auf, dass sich deren Katalogisate jetzt oft deutlich voneinander unterscheiden.

So begann im April 2018 ein Post in diesem Blog, in dem ich meine Beobachtung an einem besonders krassen Beispiel verdeutlicht habe. Mir kommt es vor, als habe sich diese Entwicklung weiter beschleunigt. Die Katalogisate unterscheiden sich inzwischen häufig nicht nur in unwesentlichen Aspekten, sondern oft auch bei grundlegenden Elementen einer Titelaufnahme. Nutzer*innen ist das meiner Ansicht nach nicht mehr zu vermitteln. Und genau aus deren Perspektive ist dieser Beitrag geschrieben, also aus der von wissenschaftlich arbeitenden Personen, die sich zur Zitierweise eines Buchs in Bibliothekskatalogen schlau machen wollen. (Und, wie beim ersten Post, erneut aus der Sicht von Bibliotheksbeschäftigten, die keine RDA-Spezialist*innen sind.)

Zum Beweis meiner Beobachtung seien hier weitere Beispiele angefügt. Ich habe nach keinem von ihnen bewusst gesucht (um hier besonders schlimme Beispiele anführen zu können), sondern habe sie während meiner laufenden Arbeit nebenbei gefunden.

Beispiel 1: ISBN 978-3-411-74357-5
Für die Printausgabe finden sich in den Verbundaufnahmen und der DNB vier Varianten:
„Richtig gendern : wie Sie angemessen und verständlich schreiben“ (KOBV Nr. 1, Hebis)
„Richtig gendern : Wie Sie angemessen und verständlich schreiben“ (KOBV Nr. 2) (zusätzlich mit falschem, da gekürztem Verfassernamen)
„Richtig gendern ; wie Sie angemessen und verständlich schreiben ; Duden, richtig gendern“ (BVB)
„Duden, richtig gendern : wie Sie angemessen und verständlich schreiben“ (DNB, SWB, HBZ, GBV, KOBV Nr. 3)
Für die E-Book-Ausgabe findet sich eine weitere Variante:
„Duden, Richtig gendern : wie Sie angemessen und verständlich schreiben“ (HBZ).
In SWB, HBZ und GBV sind Print- und E-Book-Ausgabe mit jeweils unterschiedlichen Titelvarianten enthalten.

Beispiel 2: ISBN 978-3-00-059047-4
Es liegen zwei Katalogisate vor, eines der DNB, eines des SWB:
Erscheinungsjahr DNB: 2017; Erscheinungsjahr SWB: 2018.
Seitenzahl DNB: 81 Seiten; Seitenzahl SWB: 96 Seiten

Beispiel 3: ISBN 978-3-941681-46-0
Es liegen vier Katalogisate aus den Verbünden und der DNB vor:
In zwei Katalogisaten (GBV und KOBV) wird eine Serie angegeben; im Katalogisat der DNB wird keine Serie angegeben; im Katalogisat des BVB wird die Serie erst bei „mehr zum Titel“ angegeben, dort aber im Feld „Ausgabezeichnung“ genannt.
Zum Verlag gibt es zwei Angaben:
„STEFFEN MEDIA GmbH“ (BVB, KOBV und GBV) und „Steffen Media GmbH“ (DNB).
Der GBV nennt unter „Körperschaft/en“ die „edition Lesezeichen [Verlag]“, nennt im selben Katalogisat beim Erscheinungsvermerk als Verlag aber „STEFFEN MEDIA GmbH“.
Die DNB nennt unter „Organisation(en)“ die „edition Lesezeichen (Verlag)“, nennt im selben Katalogisat beim Erscheinungsvermerk als Verlag aber „Steffen Media GmbH“.

Beispiel 4: ISBN 978-3-658-08192-8 (Printausgabe) und 978-3-658-08193-5 (E-Book)
Der Titel ist in allen Verbünden und der DNB katalogisiert.
Meistens sind die beiden Herausgeberinnen in dieser Funktion erkannt und genannt. Nicht so bei einer von mehreren Aufnahmen im GBV, wo sie als Verfasserinnen durchgehen, und den drei Aufnahmen im KOBV, wo (wie stets?) keine Funktion angegeben ist und sie deshalb für Verfasserinnen gehalten werden können.
Dieser Titel ist auch ein schönes Beispiel für das ungelöste Problem der Imprints. Es findet sich in der Verlagsangabe meistens die Angabe „Springer VS“, aber auch die Angaben „Springer-Verlag“ sowie mehrfach „Springer Fachmedien Wiesbaden“, und auch mal „Springer International Publishing AG“ in der Vertriebsangabe. Sehr schön dabei die DNB: Printausgabe: „Springer VS“, E-Book: „Springer Fachmedien Wiesbaden“. Und wer nun meint, an dieser Stelle unterschieden sich Print und E-Book eben: nein, das geht beim GBV munter durcheinander,  und BVB und SWB nennen bei beiden Ausgaben als Verlag „Springer VS“.

Schauen wir uns als fünftes und letztes Beispiel noch die Gesamtaufnahme des 2018 erschienenen, vierbändigen Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung“ an. Der Titel ist in allen Verbünden und der DNB nachgewiesen.
Den Hauptsachtitel bekommen noch alle Verbünde gleichmäßig hin.

Bei der Angabe der persönlichen Herausgeber sieht es schon anders aus: Es wird mal nur der erste genannt (BVB, KOBV), mal der erste mit dem Hinweis auf fünf weitere (DNB), mal die ersten drei ohne Hinweis auf weitere (HBZ), mal alle sechs (Hebis, GBV, SWB). Dabei führt der KOBV, wie immer, die genannte Person ohne Funktionszusatz an, suggeriert also eine Autorenschaft. Und das HBZ verblüfft, weil es die zweite und dritte der drei von ihm genannten Personen außer als Herausgeber gleichzeitig auch als Verfasser benennt, anscheinend für das Gesamtwerk. Uneinheitlich ist auch der Umgang mit der Genderproblematik: BVB, Hebis, HBZ und DNB kümmern sich nicht darum und nutzen das generische Maskulinum („Herausgeber“); beim SWB spielen offensichtlich Platz und Übersichtlichkeit der Darstellung keine Rolle, man liest die ausführliche Form der Differenzierung („Herausgeberin/-geber“) bei allen sechs Personen; der GBV steht aktuell beim Binnen-I („HerausgeberIn“); wer wird wohl als erster das * bringen?

Es gibt nicht nur beteiligte Personen, sondern auch ein herausgebendes Organ, die „Akademie für Raumforschung und Landesplanung“. Das haben genau so erkannt BVB, GBV und SWB. Die DNB nennt das Organ nur in der Verantwortlichkeitsangabe und ohne Funktion, nicht aber in der Kategorie der Körperschaft. KOBV: Nennung ohne Funktion. Das HBZ nennt als herausgebendes Organ überraschenderweise die „Akademie für Raumforschung und Landesplanung. Landesarbeitsgemeinschaft Sachsen-Sachsen-Anhalt-Thüringen“. Hebis schließlich schießt den Vogel ab und bezeichnet das Organ in der Kategorie der Körperschaft ausdrücklich als Verfasser!

Bei der Verlagsangabe bringen es die Katalogisate auf drei Versionen: „Verlag der ARL“ (BVB, HBZ, KOBV Nr. 1), „Akademie für Raumforschung und Landesplanung“ (DNB, Hebis, GBV, SWB) und „ARL, Akademie für Raumforschung und Landesplanung“ (KOBV Nr. 2).

Bei allen fünf genannten Beispielen handelt es sich nicht um wirklich schwierige Titelaufnahmen. Trotzdem schaffen es geschulte Spezialist*innen nicht, Verfasserangaben, Herausgeberschaften, Verlagsangaben, Erscheinungsjahre und Serienansetzungen einheitlich anzugeben, obwohl sie dasselbe Regelwerk anwenden. Wie soll ich den FaMIs erklären, die ich ausbilde und von denen etwa auf diesem Niveau saubere Katalogisate in den Abschlussprüfungen verlangt werden?

Mehrere Jahre dachte ich, der Grund für das beschriebene Problem liege in den Umstellungsschwierigkeiten auf das neue Regelwerk und dessen ungewohntes Prinzip des „cataloger’s judgment“. Das kann es aber nicht sein, zumindest nicht allein. Ich vermute noch einen anderen Grund: Kann es sein, dass in den Bibliotheken aus Personalknappheit zuerst vereinzelt, dann immer häufiger Korrekturlesevorgänge im Workflow entfallen sind? In früheren Jahrzehnten wurde kein Katalogisat in eine Datenbank gegeben, ohne dass vorher eine zweite Person korrektur gelesen hatte. Ich habe keine Ahnung, ob das immer noch so ist, kann es mir bei diesen Ergebnissen aber nicht vorstellen. Geht man beim Katalogisieren davon aus, dass die anderen eventuelle Fehler schon ausbügeln werden?

Als weiteres Indiz für diese These: Während ich diesen Beitrag schrieb, benötigte ich die korrekte Verlagsangabe für das Buch mit der ISBN 978-3-9819650-0-1. Ich erhielt fünf Varianten: „[KlimaWandel GbR]“ (BVB, HBZ, KOBV Nr. 1), „KlimaWandel GbR“ (SWB, GBV), „David Selles & Christian Serrer“ (DNB, KOBV Nr. 2), „[David Selles und Christian Serrer]“ (Hebis), sowie „Lokay“ (offensichtlich völlig falsch, einschließlich falschem Erscheinungsort, KOBV Nr. 3).
Aber auch bei der Seitenzahl gab es keine Einigkeit. 129 Seiten geben an DNB, KOBV Nr. 2, Hebis; 131 Seiten geben an BVB, HBZ, KOBV Nr. 1 und 3, SWB, GBV.
Von diesem Werk existiert zudem eine inhaltlich identische Sonderausgabe der Bundeszentrale für Politische Bildung. Hierbei ist die Uneinheitlichkeit bei der Seitenzählung verblüffenderweise anders unter den Verbünden aufgeteilt. Für 129 Seiten haben sich diesmal entschieden BVB, HBZ, DNB, KOBV; für 130 [!] Seiten SWB und GBV.

Meine Beobachtungen führen mich zu folgenden Thesen:

1. Titelaufnahmen sind seit der Einführung von RDA gegenüber der Zeit der Gültigkeit der RAK deutlich uneinheitlicher geworden.
2. Diese Uneinheitlichkeit betrifft nicht nur nebensächliche Aspekte der Katalogisate, sondern wichtige Teile, die für die Recherche oder die Filterung von zentraler Bedeutung sind.
3. Bei fast jeder Manifestation wird man in den Katalogisaten der Verbünde/der DNB teils gravierende Abweichungen voneinander finden. (Zu dieser These siehe weitere Beispiele weiter unten.)
4. Die überraschend große Uneinheitlichkeit der Titelaufnahmen kann nicht allein am neuen Regelwerk und dessen für Deutschland ungewohntes Vorgehen des „cataloger’s judgment“ liegen. Vielleicht werden Katalogisate in die Verbünde/auf die DNB-Website gegeben, ohne dass vorher ein Korrekturlesevorgang stattgefunden hat. Andere Bibliotheken der Verbünde übernehmen die Katalogisate automatisiert ohne weitere Prüfung. Weitere Abweichungen könnten über das Einspielen von Fremddaten (Buchhandel) entstehen.
5. Wenn ein Katalogisat erst einmal falsch in den Datenbanken der Verbünde/der DNB steht, wird es nur noch selten verbessert werden.

Hiermit beende ich im Prinzip diesen Post. Um aber die zugestandene Zufälligkeit der geprüften Titelaufnahmen auf ein wenigstens minimal breiteres Fundament zu stellen, habe ich mich zu einer weiteren Prüfung entschlossen. Hierzu habe ich, ohne die Titel und Katalogisate vorher zu kennen, folgendes Vorgehen gewählt: Ich habe die Titelnummern 1, 11, 21, 31 und 41 der Neuzugangsliste September/Oktober 2019 meiner Bibliothek in den Verbünden/der DNB geprüft. Das Ergebnis ist wie von mir erwartet. Hier liste ich die Differenzen in den Katalogisaten auf.

Titel 1: ISBN 978-3-658-00011-0.
Es scheint auf den ersten Blick für diese ISBN zwei Ausgaben zu geben! Denn wir finden Katalogisate mit Erscheinungsjahr 2012 und 213 Seiten (BVB Nr. 1, KOBV) und Erscheinungsjahr 2013 und 210 Seiten (BVB Nr. 2, DNB, Hebis). Aber warum gibt dann das HBZ in seinem Katalogisat das Erscheinungsjahr 2013 und 213 Seiten an, kombiniert also die beiden Angaben? Warum ist in der einen BVB-Aufnahme das Literaturverzeichnis für die Seiten [201] – 203 angegeben, bei der anderen BVB-Aufnahme für die Seiten [199] – 201, und in der HBZ-Aufnahme ebenfalls für die Seiten [199] – 201, obwohl diese Aufnahme denen des BVB ansonsten widerspricht? Und warum liefern SWB und GBV die folgende Angabe: [erschienen 2012]?
(Nebenbei: Hier handelt es sich um einen älteren Titel, die Differenzen können also nicht an RDA liegen.)

Titel 11: http://d-nb.info/1162230061. ISBN gibt es nicht.
Es liegen drei Katalogisate vor. Das Werk hat vier persönliche Verfasser. DNB und Hebis listen sie in der korrekten Reihenfolge auf. Der SWB nennt nur einen persönlichen Verfasser [und 3 andere]. Die drei anderen sind also dort nicht recherchierbar. Das Problem dabei: Der SWB gibt nicht denjenigen Verfassernamen an, der in der Vorlage und bei den beiden anderen Katalogisaten zuerst gelistet ist, sondern den zweiten Verfassernamen der Vorlage! Im SWB sind also nicht nur „weitere“ persönliche Verfasser nicht recherchierbar, sondern es ist auch der in der Vorlage zuerst genannte persönliche Verfasser nicht recherchierbar!

Titel 21: ISBN 978-1-4398-9571-9.
Es liegen vier Katalogisate vor. Angaben für den Verlag: CRC Press (SWB, HBZ), CRC Press Taylor & Francis Group (Hebis), CRC Press, Taylor & Francis (GBV). Angaben für die Seitenzahl: XV, 240 S. (SWB, Hebis, HBZ), XIII, 240 S. (GBV).

Titel 31: ISBN 978-0-691-18037-3.
Es handelt sich um ein aus zwei Bänden bestehendes Set, das in vier Verbünden katalogisiert ist. BVB, Hebis und SWB liefern Katalogisate des Gesamtwerks und der beiden Einzelbände, aus dem Katalogisat des GBV geht hingegen nicht hervor, dass es sich um zwei Bände handelt, es fehlt also auch eine Seitenangabe. Das Werk hat zwei Verfasser; in der Aufnahme des Gesamtwerks des BVB werden sie aber als Übersetzer bezeichnet, nur der erste „Übersetzer“ ist zusätzlich als Verfasser angegeben. Das Erscheinungsjahr wird von BVB, SWB und GBV mit [2019] angegeben, von Hebis mit 2019.

Von Titel 41 gibt es bisher nur eine Aufnahme, sodass ein Vergleich nicht möglich ist, von Titel 42 gar keine, meine Bibliothek ist wohl im Alleinbesitz. Stattdessen habe ich Titel 43 gewählt: ISBN 978-3-89104-823-8.
Es gibt sechs Katalogisate. Einer der beiden Verfasser wird bei allen normiert angesetzt als „Liebel, Heiko“. In der Verantwortlichkeitsangabe wird der unnormierte Name der Vorlage „Heiko T. Liebel“ genannt von BVB, DNB und HBZ; dagegen nennen SWB und GBV in der Verantwortlichkeitsangabe „Heiko Liebel“, der KOBV verzichtet wie stets vollständig auf die Verantwortlichkeitsangabe. BVB, DNB und HBZ setzen das Erscheinungsjahr in eckige Klammern, SWB und GBV tun es nicht, KOBV auch hierbei wieder außen vor. Als Seitenzahl werden angegeben von BVB, DNB und HBZ 320 Seiten, von SWB, GBV und KOBV aber 432 Seiten!

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Antworten

  1. Ich bin begeistert von dem Wort „Katalogisat“ (bzw. dem Plural „Katalogisate“). Diese Pluralität des an sich Einzigartigen öffnet mir komplett neue Dimensionen! Ich war bislang nur von unbedeutenden Fehlern bei der Katalogisierung in den Bibliotheken ausgegegangen.
    Aber genau das ist ja das Thema des Beitrages… vielen Dank für diese Darlegungen und sinnvollen Bedenken!


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